Wenn man zu Pro und Contra Cannabis Stellung nehmen möchte, ist es sicherlich sinnvoll zwischen dem Konsum von Cannabis als Freizeitdroge und dem medizinischen Gebrauch zu unterscheiden.
Konsum von Cannabis als Freizeitdroge:
Contra:
- Der einmalige Konsum von Cannabis kann akut zu Beeinträchtigung verschiedener geistiger Fähigkeiten führen. Man kann psychomotorisch verlangsamt sein, Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen werden dadurch verschlechtert.
- Der regelmäßige Konsum von Cannabis kann zu längerdauernder Beeinträchtigung geistiger Fähigkeiten führen.
- Der akute Konsum von Cannabis kann zu Gefäßerweiterung, Puls- und Blutdruckanstieg führen.
- Chronisches Kiffen führt zu strukturellen Veränderungen im Gehirn, insbesondere der Regionen, die für das Gedächtnis zuständig sind.
- Cannabiskonsum während der Schwangerschaft, kann die Entwicklung des Fötus stören.
- Cannabiskonsum erhöht moderat das Risiko für die Entwicklung von Erkrankungen des depressiven Formenkreises, Angststörungen und von Psychosen. (eventuell von Schizophrenien)
- Akutes Kiffen erhöht das Unfallrisiko, insbesondere in Kombination mit Alkohol.
- Häufiger Cannabiskonsum in der Jugend erhöht die Wahrscheinlichkeit für Schulabbruch und verringert die Wahrscheinlichkeit einen akademischen Grad zu erwerben.
Pro:
- Das gewichtigste Argument für den Konsum von Cannabis als Freizeitdroge ist, dass eben manche Menschen gerne Cannabis konsumieren wollen.
- Einige Argumente relativieren aber die oben angeführten Argumente gegen den Cannabiskonsum als Freizeitdroge und dürfen daher als schwache „Pro-Stimme“ gewertet werden:
- Die durch regelmäßigen Konsum von Cannabis hervorgerufenen Veränderungen der geistigen Fähigkeiten dürften nach völliger Abstinenz wieder rückbildungsfähig sein.
- Ob die Erhöhung von Puls und Blutdruck durch akuten Cannabiskonsum auch tatsächlich das Risiko für Schlaganfälle, Herzinfarkte und andere cardiovaskuläre Erkrankungen erhöht, ist nicht nachgewiesen.
- Ob die nachgewiesenen strukturellen Veränderungen im Gehirn durch regelmäßiges Kiffen gesetzmäßig für alle Cannabisprodukte gelten, oder im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen THC und CBD stehen und daher nicht regelhaft auftreten, ist wissenschaftlich noch in Diskussion.
- Psychosen sind insgesamt nicht sehr häufig, eine moderate Erhöhung des Risikos bedeutet daher auch noch kein sehr hohes Risiko Psychosen zu entwickeln.
Meine persönliche Meinung:
Ich überblicke persönlich viele Cannabiskonsumenten teilweise über viele Jahre.
- Das wesentliche Argument gegen den Freizeitgebrauch der Droge ist, dass es kein besonderes Argument dafür gibt. Wenn jemand argumentiert, er fühle sich damit ruhiger, ausgeglichener und könne besser schlafen, dann ist er ja schon bei der medizinischen Anwendung. Allerdings ist das natürlich ein Graubereich. So kann man vielleicht für die Anwendung im Freizeitbereich das Argument, dass Cannabis allgemein entspannend ist, gelten lassen.
- Ein Vergleich der Schädlichkeit mit der von Alkohol ist nicht sinnvoll. Denn natürlich ist auch der Gebrauch von Alkohol nicht zu empfehlen. Während die Schädlichkeit von Alkohol bei chronischem Übergebrauch evident ist, dürfte diese Schädlichkeit bei Cannabiskonsum geringer sein. Dafür habe ich noch nie jemanden gesehen, der bei seltenem, geringen Alkoholkonsum psychotisch wurde und blieb, während ich das bei Cannabiskonsumenten sehr wohl persönlich gesehen habe. Teilweise war das mit dramatischen Folgen verbunden. Also zum Vergleich von Cannabis und Alkohol ist meine Meinung: Es dürfte stimmen, dass Alkohol für viel mehr negative gesundheitliche Folgen verantwortlich ist als Cannabis, aber die seltene Auslösung einer Psychose durch Cannabis kann folgenschwer sein. Diese beiden Übel gegeneinander aufzuwiegen ist unlogisch.
- Bei chronischem Konsum sind negative Einflüsse auf den allgemeinen Lebensweg der Konsumenten sichtbar, durch Verschlechterung ihrer geistigen Fähigkeiten, durch eine Neigung zu allgemeiner Trägheit.
- Bei Kindern und Jugendlichen könnten die Gefahren noch schwerwiegender sein. Das deckt sich völlig mit meinen Beobachtungen. Nur wenige Menschen, die als Kinder oder Jugendliche begonnen haben, regelmäßig Cannabis zu gebrauchen, dürften eine ungestörte Entwicklung ihres Lebensweges durchschritten haben. Allerdings muss einschränkend zu dieser Beobachtung angemerkt werden, dass wohl die meisten Jugendlichen Dauerkonsumenten schon aus anderen Gründen eine Benachteiligung mit auf den Weg gebracht haben.
Zusammenfassend ist meine Meinung, dass Cannabis für den Freizeitgebrauch nicht zu empfehlen ist (wie Alkohol auch). Eine Bestrafung für den Konsum von Cannabis lehne ich aufgrund meines Menschenbildes völlig ab. Kinder und Jugendliche sollten besonders vor den Gefahren des Cannabiskonsums geschützt werden. Dabei sind vielfältige Ansatzpunkte bei psychosozialen Variablen denkbar. Gelegentlicher Konsum dürfte für die meisten Menschen ohne negative Folgen bleiben. Cannabiskonsum ist mittelbar (Besitz) verboten und kann daher ohnehin zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht empfohlen werden.
Cannabis in der Medizin:
- Der Wesentliche Unterschied zwischen der Anwendung von Cannabis als Freizeitdroge und der Anwendung von Cannabis in der Medizin ist, dass es für den medizinischen Gebrauch von Cannabis ja immer einen Grund, eine „Indikation“ gibt. Das heißt, man verspricht sich plausibel eine Verbesserung des Gesundheitszustandes und insbesondere der Lebensqualität des Patienten.
- Die beobachteten Nebenwirkungen sind bei bestimmungsgemäßer Anwendung von Cannabis in der Medizin sehr gering und reversibel.
- Die Plausibilität der Wirksamkeit ist aufgrund von allgemeinen wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Physiologie des körpereigenen Cannabissystems, den Wirkmechanismus, die Wirksamkeit und Beobachtungen von Patienten und behandelnden Ärzten hoch.
- Der wissenschaftliche Nachweis von Wirksamkeit und Nutzen in verschiedenen Indikationen ist allerdings bescheiden:
- Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen war die Wirkung von Cannabis gegenüber Placebo überlegen. Dabei war die erreichte Schmerzreduktion nicht sehr hoch. Allerdings wurden zusätzlich andere Parameter verbessert. Das bedeutet für mich, dass Cannabis in der Schmerzmedizin in Kombination mit anderen Schmerzmitteln und für die Gesamtsituation sehr hilfreich sein kann.
- Bei der Behandlung von Spastizität bei Multipler Sklerose konnte keine objektive Verbesserung der Spastizität selbst gemessen werden, allerdings von anderen krankheitsrelevanten Parametern. Auch dieses Ergebnis darf man nicht als negativ interpretieren. Dem kranken Patienten ist es ja gleichgültig, ob es ihm besser geht, weil etwas gebessert wurde, was in der Studie gemessen wurde, oder aus einem anderen Grund, wie z.B. allgemeine Entspannung.
- Bei der Behandlung von Morbus Crohn und Reizdarmsyndrom konnte keine Verbesserung der Primärsymptome gezeigt werden. Auch hier gilt, wenn es durch eine Verbesserung von Folgesymptomen zu einer Besserung der Lebensqualität kommt, ist das auch ein Therapieerfolg.
- Eine Verbesserung von Übelkeit und eine Gewichtszunahme bei schweren Erkrankungen konnte gezeigt werden. Dies ist eine unumstrittene Indikation für Cannabis.
- Nebenwirkungen bei der Therapie mit Cannabis waren meist vorübergehend und nicht schwer. Es scheint sich also um eine sichere Therapieform zu handeln.
Die Abwägung dieser Tatsachen bringt mich zu dem Schluss, dass Cannabis in der Medizin ein potenziell breites Anwendungsspektrum hat und versuchsweise unter folgenden Bedingungen ohne Restriktionen angewandt werden soll:
- In klinischen Studien
- Wenn bei schweren Erkrankungen eine Zulassungsindikation für Medikamente auf Cannabisbasis besteht (z.B. bei Gewichtsabnahme und Übelkeit bei schweren Erkrankungen, Spastik bei multipler Sklerose)
- Wenn bei sonstigen Erkrankungen mit rationaler Hoffnung auf Wirksamkeit von Cannabis keine überzeugende bereits zugelassene Therapieform zur Verfügung steht, oder diese bei einem Therapieversuch nicht ausreichend wirksam war, oder die Anwendung der zugelassenen Therapieform von vornherein im individuellen Fall nicht aussichtsreich, oder kontraindiziert ist.
Jede Anwendung von Cannabis in der Medizin setzt neben der klaren Indikationsstellung eine Überprüfung des Therapieverlaufs voraus.
Exkurs: Zum Stellenwert wissenschaftlicher Untersuchungen in der allgemeinen Diskussion um Cannabismedizin
Dass es viele Studien zu Cannabis gibt, bedeutet noch nicht, dass es breiten Konsens über gesicherte Anwendungsgebiete gibt.
Ein Problem, das die Diskrepanz zwischen euphorischen Praxisberichten und bescheidenen Studienergebnissen betrifft, ist folgendes: In Studien wird meist auf das primäre Krankheitsgeschehen Bezug genommen. Das heißt, es wird etwa untersucht, ob bei chronischen Darmentzündungen die Entzündung zurück geht. Ist dies nicht der Fall, muss wissenschaftlich festgestellt werden: „es konnte nicht bewiesen werden, dass Cannabis die Entzündung bei chronischen Darmerkrankungen positiv beeinflusst.“ Ob sich einzelne, viele, oder fast alle Patienten nach Cannabismedikation besser fühlen, ist damit nicht einmal untersucht, geschweige denn bewiesen.
Es ist schwer, die Wirksamkeit und den praktischen Nutzen von Medikamenten im streng wissenschaftlichen Sinn zu beweisen. Wenn also das Ergebnis von einzelnen Studien eine Wirksamkeit nahelegen bedeutet das noch nicht, dass der praktische Nutzen bei einem bestimmten Patienten auch eintreffen wird. Umgekehrt bedeutet ein statistisch nicht bewiesener Nutzen nicht, dass kein Nutzen existiert. Mit dieser Anmerkung möchte ich nicht die wissenschaftliche Forschung kritisieren, sondern nur Laien davor warnen allzu schnell eine bestimmte Meinung als „wissenschaftlich bewiesen“ zu vertreten, etwa weil „eine amerikanische Studie“ „das eindeutig bewiesen“ hätte. Wer so argumentiert, beweist eigentlich nur, dass er selbst keine Ahnung von medizinischer Wissenschaft hat.
Auch der einzelne praktisch tätige Arzt, auch wenn er naturwissenschaftlich erzogen wurde und sich um Wissenschaftlichkeit bemüht, ist letztlich nicht in der Lage, die Gesamtheit der wissenschaftlichen Quellen so zu interpretieren, dass sein Urteil als „wahr“ bezeichnet werden kann.
Der einzelne Arzt kann nur sagen, dass er aus einigen Publikationen die Ansicht gewonnen hat, dass eine Methode in gewissen Situationen hilfreich ist und dass die Ergebnisse sich mit seiner Erfahrung decken, oder eben nicht. Er kann also nur eine wohlbegründete Meinung abgeben.
Damit eine Methode bei einer bestimmten Erkrankung oder in einem bestimmten Kontext wissenschaftlich empfohlen werden kann und den Stand der ärztlichen Kunst darstellt, muss sie vorher einen langen Prozess durchlaufen, an dem eine große Zahl von Theoretikern und Praktikern zusammenarbeiten. Ein Ergebnis eines solchen Prozesses kann die Zulassung als Medikament oder die Aufnahme einer Empfehlung in Leitlinien sein. Auch dann heißt das aber noch nicht, dass ein Nutzen „bewiesen“ wäre. Auch in den Leitlinien gibt es unterschiedliche Empfehlungsgrade. Und eine einmal in Leitlinien empfohlene Methode muss dort nicht ewig verbleiben.
Wenn es eine große Anzahl von Studien gibt, gibt es als wissenschaftliche Methode die Möglichkeit eine sogenannte Metastudie, oder Metaanalyse durchzuführen. Das funktioniert so, dass ein Team von Menschen, die sich in wissenschaftlicher Arbeit gut auskennen, viele Studien nach nachvollziehbaren wissenschaftlichen Kriterien analysieren und daraus ein vorsichtiges Ergebnis ableiten. Metaanalysen beziehen sich außerdem naturgemäß auf Daten, die schon älter sind und können neuere Trends noch nicht abbilden. Für Cannabis ist eine solche Studie die 2017 publizierte deutsche CaPRis-Studie.
Auch eine solche Studie stellt nur einen redlichen Versuch dar, wissenschaftliche Argumente für die praktische Anwendung besser darzustellen und keine „Wahrheit“ oder keinen „wissenschaftlichen Beweis“. Die Aussagen sind meist so begrenzt, dass diejenigen, die eine eindeutige Bekräftigung ihrer vorher schon festgelegten Überzeugungen suchen, in beiden Lagern enttäuscht sind. Das Fazit ist meist „Hinweise..“, „Trend ohne statistische Signifikanz..“, „reicht nicht aus um in der Praxis zu einer Empfehlung zu führen..“, „weitere Untersuchungen sind notwendig…“. Trotzdem tragen solche Metaanalysen dazu bei, die Klarheit im wissenschaftlichen Diskurs zu verbessern und neue wissenschaftliche Fragestellungen zu generieren. Eindeutige Empfehlungen für die Praxis darf man sich auf dieser Ebene aber noch nicht erhoffen.
Der Grund, warum ich die Problematik anspreche ist, dass die Diskussion um Cannabis in der Medizin oft so emotional geführt wird und viele Argumente haarsträubend sind. Ich möchte daher davor warnen, sich mit einem Standpunkt all zu sicher zu fühlen. Das gilt für Patienten und Laien ebenso, wie für praktisch tätige Ärzte und politische und ärztliche Meinungsbildner.