Epileptische Anfälle und andere Anfallserkrankungen haben gemeinsam, dass sie plötzlich beginnen und unterschiedlich lange, meist aber kurz dauern.
So dauern die meisten epileptischen Anfälle bis zu 2 Minuten. Manche Anfallsarten dauern noch deutlich kürzer, als 2 Minuten. Wenn mehrere solcher Anfälle kurz hintereinander stattfinden, oder der Patient nach dem eigentlichen Anfall noch eine Weile verwirrt oder müde ist, oder gar danach gleich einschläft, kann der Eindruck einer längeren Anfallsdauer entstehen. Selten dauern auch einzelne epileptische Anfälle tatsächlich länger. Sei es in Ausnahmefällen (status epilepticus) oder aufgrund einer speziellen Erkrankung (z.B. Epilepsia partialis continua/andauerndes Zucken meist einer Extremität).
In der Neurologie sind plötzlich, oder sich kurz ankündigende anfallsartige Verhaltensänderungen, bis hin zu einem großen sogenannten „generalisierten tonisch klonischen Anfall“ immer verdächtig auf das Vorliegen einer Epilepsie. Andere Erkrankungen, oder Störungen können aber ebenfalls anfallsartig auftreten und sind dann von epileptischen Anfällen zu unterscheiden.
Vorgehen bei Epilepsien
Wenn wir also annehmen, dass es sich bei der beobachteten oder geschilderten anfallsartigen Verhaltensänderung um einen epileptischen Anfall handelt, stellen sich einige Fragen.
Eine ganz wesentliche Rolle in der Diagnostik der Epilepsien spielt die Anfallsbeschreibung. Da nur in seltenen Fällen der epileptische Anfall vom Arzt selbst beobachtet werden kann, ist der Bericht des Patienten und von Beobachtern und Angehörigen besonders wichtig. Handyvideos sind natürlich auch sinnvoll.
Die entscheidenden Kriterien für die Klassifikation der Anfälle sind
Die Einteilung der epileptischen Anfälle erfolgt danach, ob sie von einer bestimmten eng umschriebenen Hirnregion ausgehen (fokaler Ursprung) oder ob von vornherein beide Hirnhälften betroffen sind (generalisiert) und bei den fokalen Anfällen, ob der Anfall bewusst erlebt wird, oder nicht bewusst erlebt wird.
Eine der wichtigsten Frage bei der Einordnung epileptischer Anfälle ist, ob das Bewusstsein völlig erhalten oder beeinträchtigt war, oder ob ein völliger Bewusstseinsverlust stattgefunden hat.
Das menschliche Bewusstsein ist sehr komplex. Im Zusammenhang mit epileptischen Anfällen beurteilt man aber in erster Linie, ob der Patient während des Anfalls kontaktierbar ist, also sinnvoll und uneingeschränkt („normal“) auf Ansprache reagiert und ob er sich an den Anfall erinnern kann.
Es gibt unterschiedliche Ausprägungsgrade der Bewusstseinseinschränkung.
Klar ist die Sache beim generalisiert tonisch klonischen „großen“ epileptischen Anfall. Hier ist das Bewusstsein plötzlich weg. Das heißt für den Beobachter, der Patient reagiert nicht auf Ansprache und für den Betroffenen, er ist plötzlich weg und erinnert sich nicht mehr an den Anfall selbst. Danach kann er noch „postiktal“ verwirrt sein und sich komisch verhalten.
Bei anderen Anfällen ist oft die Zuordnung, ob das Bewusstsein erhalten ist für den Laien gar nicht so einfach. Sei es, dass die Anfälle so kurz dauern, dass man es gar nicht recht wahrhaben will, oder sich nicht sicher ist, sei es dass andere Handlungen gesetzt werden, die pseudologisch sein können, oder z.B. die Augen geöffnet sind. Hier hilft nur, sich auf die oben beschriebenen Zeichen zu besinnen und sich folgende Fragen zu stellen: Reagiert der Patient während des Anfalles adäquat auf Ansprache? Kann er sich nach dem Anfall daran erinnern?
Beispiel: generalisiert tonisch-klonischer Anfall
Viele Menschen verbinden mit dem Begriff „epileptischer Anfall“ oder „Epilepsie“ den generalisierten tonisch-klonischen Anfall. Damit meint man einen ungefähr 2 Minuten, oder kürzer dauernden Anfall, der manchmal von einem Aufschrei eingeleitet wird, das Bewusstsein ist abrupt verloren, die Arme und eventuell der ganze Körper verkrampfen sich und beginnen dann mehr oder weniger zu zucken. Das Zucken lässt im Verlauf bald nach, oder wird manchmal auch nur als „Zittern“ beschrieben. Es kommt vor, dass sich der Patient dabei seitlich in die Zunge beißt, oder dass er gegen Ende des Anfallsgeschehens Harn verliert.
Beispiel: Absencen
Epileptische Anfälle müssen aber nicht immer eindeutig, für jeden als solche erkennbar sein. Sie können auch in einer nur einige Sekunden dauernden Bewusstseinstrübung mit starrem Blick, oder Zucken um die Augen oder ähnlichen Erscheinungen bestehen. Das kann so diskret sein, dass sie sich oberflächlicher Betrachtung entziehen.
Auch kurze Zuckungen, meist symmetrisch, der oberen oder unteren Extremitäten, ohne Bewusstseinsverlust können epileptischen Ursprungs sein. Ich meine damit Myoclonien.
Beispiel: Fokaler Beginn, fokal zu bilateral tonisch-klonisch
Eine weitere Anfallsform wäre ein rhythmisches Zucken einer Extremität, oder einer Gesichtshälfte, wobei es dazu kommen kann, dass sich das Zucken zunächst auf eine Körperhälfte und auch auf die zweite Körperhälfte ausdehnt und dann auch ein Bewusstseinsverlust eintritt.
Beispiel: Fokaler Beginn, nicht bewusst erlebt (fokal komplexe Anfälle)
Auch anfallsartig auftretende psychische Symptome können epileptischen Ursprungs sein. Sie unterscheiden sich aber doch von typischen psychiatrischen Erkrankungen, so dass eine korrekte Zuordnung meist möglich ist.
Gar nicht so selten sind epileptische Anfälle, die mit leichten psychischen Symptomen beginnen und in eine komplexe Symptomatik mit Bewusstseinsstörungen übergehen. Dabei werden einfache motorische Handlungen wie Nesteln, oder Schmatzen, später auch pseudologische komplexerer Handlungsabläufe beobachtet. Die Augen sind dabei meist offen, im Verlauf kommt es auch zu ratlosem Umherblicken. Die Kriterien des Bewusstseinsverlustes sind zwar eindeutig gegeben, aber aufgrund der offenen Augen und der motorischen- oder Handlungsautomatismen kann das vom ungeübten Beobachter fehlinterpretiert werden.
Wir nehmen also nach der Anfallsbeschreibung an, dass es sich um einen epileptischen Anfall handelt. Im Idealfall können wir den Anfall auch klassifizieren. Wenn nicht ausreichend Informationen vorliegen, dann geben wir uns mit der Einordnung als „nicht klassifiziert“ zufrieden.
Nun interessiert uns, ob es sich vermutlich um einen einzelnen epileptischen Anfall handelt und sich dieser wahrscheinlich gar nicht mehr wiederholen wird, oder ob es Hinweise darauf gibt, dass dieser erste Anfall der Beginn einer Epilepsie ist und damit eine weiterführende Behandlung nötig sein wird.
Akut symptomatische Anfälle treten im Zusammenhang mit einer akuten Hirnerkrankung oder einer Verletzung des Gehirns auf. Oder andere körperliche Störungen beeinflussen das Gehirn, so dass die „Krampfschwelle“ erniedrigt wird. Darunter fallen schwerste Unterzuckerung, schwere Niereninsuffizienz, aber auch Einwirkungen von Giften z.B. Alkohol, Drogen, Medikamente.
Wenn es möglich ist, die Ursache zu beseitigen, dann treten auch keine Anfälle mehr auf. Ein Beispiel wäre die folgenlose Ausheilung einer Infektion des Gehirns. Oder die Alkoholabstinenz nach einem epileptischen Anfall im Alkoholentzug.
Gerade bei Substanzabhängigen (also z.B. alkoholabhängigen Menschen) ist die Problematik, dass Abstinenz oft nicht erreicht wird. Es handelt sich zunächst um einen einzelnen akut symptomatischen Anfall und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass bei Elimination der Ursache kein weiterer Anfall mehr auftreten würde. Wenn aber weiterhin Alkohol konsumiert wird, kommt es zu weiteren Anfällen.
Obwohl von der Häufigkeit bei akut symptomatischen Anfällen aufgrund von Substanzgebrauchs (oft ist der akute Entzug das Problem) der Alkohol führend ist, gibt es eine Vielzahl von Substanzen, die da in Frage kommen. Beispiele sind die opioide Substanz Tramadol oder die ebenfalls opioide, aber legal erhältliche psychotrope Pflanze Mitragyna speciosa/Kratom. Auch andere Medikamente können, meist in hoher Dosierung die Krampfschwelle senken.
Zusammenfassend gilt, dass es gelegentlich möglich ist, einen wahrscheinlichen Auslöser für einen epileptischen Anfall zu identifizieren. Wenn es dann möglich ist, diesen Auslöser zu beseitigen, sei es, dass eine zugrundeliegende Erkrankung (z.B. Infektion ) folgenlos ausheilt, sei es, dass er sonst wie vermieden werden kann (z.B. andauernde Alkoholkarenz), dann spricht man von einem akut symptomatischen Anfall, die Prognose ist günstig und es kann vorerst auf eine antiepileptische Behandlung verzichtet werden.
Wenn bei einem ersten epileptischen Anfall miteiner mehr als 60%igen Wahrscheinlichkeit vom Auftreten weiterer epileptischer Anfälle ausgegangen werden muss, spricht man von einer beginnenden Epilepsie.
In der Praxis geht man davon dann aus, wenn im EEG epilepsietypische Potenziale oder in der MRT strukturelle Veränderungen gefunden werden.
Wenn eine Epilepsie als eigenständige Erkrankung vorliegt, dann ist das weitere Vorgehen ganz anders. Wenn möglich können Ursachen zwar weiterhin beseitigt werden. Die Unterdrückung epileptischer Anfälle steht aber ganz im Fokus der Bemühungen.
Die Krankheit „Epilepsie“ ist durch folgende Bedingungen gekennzeichnet:
-Mindestens zwei nicht provozierte Anfälle im Abstand von mehr als 24 Stunden.
-Ein nicht provozierter Anfall verbunden mit einer mindestens 60 prozentigen Wahrscheinlichkeit, während der nächsten zehn Jahre weitere Anfälle zu erleiden.
-Diagnose eines Epilepsiesyndroms
Mit Diagnostik meint man das Vorgehen, das letztlich zu einer zutreffenden Diagnose führt und somit die therapeutischen Überlegungen bestimmen.
Eine ganz wesentliche Rolle in der Diagnostik der Epilepsien spielt, wie oben ausgeführt die Anfallsbeschreibung.
Eine körperlich neurologisch Untersuchung zeigt, ob das Nervensystem bis auf den erfolgten epileptischen Anfall störungslos funktioniert, oder ob eine Störung oder Erkrankung vorliegt.
Ein EEG (Elektroenzephalographie/Hirnstrommessung) kann sehr wichtige Informationen liefern. Wenn es „epilespsietypische Potenziale“ zeigt, ist das eine enorm wichtige Aussage. Die Art dieser Veränderungen lässt oft noch zusätzliche Schlüsse zu. Allerdings kommt es nicht so selten vor, dass in der Zeit, in der kein Anfall erfolgt auch keine entsprechenden Veränderungen gefunden werden. Ein negatives EEG schließt also eine Epilepsie nicht aus.
Am höchsten ist die Wahrscheinlichkeit epilepsietypische Veränderungen im EEG zu finden, wenn es innerhalb von 24 Stunden nach dem Anfall abgeleitet wird.
Es macht Sinn, wenn man keine solchen Veränderungen findet, mehrmals ein EEG abzuleiten. Allerdings wird es nach dem vierten Versuch immer unwahrscheinlicher, doch noch etwas zu finden.
Gewisse Provokationsmethoden (z.B. Schlaf-, Schlafentzug), oder eine Langzeit-EEG Ableitung, eventuell mit gleichzeitiger Videoaufnahme können die Ausbeute noch erhöhen, sind aber einer Spitalsaufnahme vorbehalten.
Die MRT (Magnetresonanztomographie) ist die Methode der Wahl zugrundeliegende strukturelle Veränderungen des Gehirns zu finden. Dies hilft zur diagnostischen Einordung und zur Therapieplanung. Manchmal gibt es bei solchen Veränderung auch die Möglichkeit, sie chirurgisch zu sanieren.
Nach erfolgter Diagnostik kann man also folgende Situationen unterscheiden.
Es handelt sich um einen epileptischen Anfall, dem eine nicht bleibende zugrundeliegende Ursache zugeordnet werden kann z.B. infektiöse Hirnerkrankung. Es handelt sich um einen akut symptomatischen Anfall, die Therapie der Wahl ist die Beseitigung der Ursache.
Es handelt sich um einen ersten nichtprovozierten Anfall. Keine MRT Veränderungen und keine epilepsietypischen Potenziale im EEG liegen vor. Die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Anfälle liegt dabei unter 60%. Eine Therapie kann im individuellen Fall erfolgen, ist aber nicht grundsätzlich indiziert.
Es werden epilepsietypische Veränderungen im EEG, oder strukturelle Veränderungen in der MRT gefunden. Damit handelt es sich um eine beginnende Epilepsie, die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Anfälle ist hoch und eine Therapie ist jedenfalls angezeigt.
Es handelt sich um ein Epilepsiesyndrom und eine Therapie ist angezeigt.
Da epileptische Anfälle oft dramatische Ereignisse sind und auch Gefahren in sich bergen, ja sogar lebensgefährlich sind und die Neigung dazu erhebliche Einschränkungen mit sich bringen, ist immer völlige Anfallsfreiheit das Therapieziel.
Im günstigsten Fall konnte diagnostisch eine behandelbare Ursache für das Auftreten eines oder mehrerer epileptischer Anfälle gefunden werden und diese können beseitigt werden. Das ist dann schon die Therapie der Wahl.
Die zweite Möglichkeit ist eine medikamentöse Einstellung auf ein Antiepileptikum. Dies setzt voraus, dass man mit höherer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen muss, dass weitere Anfälle auftreten werden. Mit dem ersten medikamentösen Therapieversuch werden etwa die Hälfte der Patienten anfallsfrei. Mit Änderungen der Therapiestrategie (Verwendung eines anderen Antiepileptikums, oder Kombinationstherapien) kann bei etwa zwei Drittel der Patienten dauerhafte Anfallsfreiheit erreicht werden.
Die Dauer der Therapie ist sehr langfristig konzipiert, bei 60% der Patienten lebenslang. Leider stehen uns keine Medikamente zur Verfügung, die die Epilepsie heilen, sondern nur solche, die bei konsequenter Einnahme das Auftreten weiterer Anfälle verhindern.
Angesichts der enormen Einschränkungen und Gefahren durch viele Anfallsformen wird trotzdem die langfristige antiepileptische Einstellung die wichtigste Option sein.
Bei vielen der medikamentös nicht ausreichend behandelbaren Patienten kommt ein epilepsiechirurgischer Eingriff in Frage. In solchen Fällen wird in einem entsprechenden Zentrum zunächst noch einmal die Diagnose überprüft und danach in einer genauen Diagnostik die Eignung für einen solchen Eingriff und die genaue Art des Eingriffes festgelegt.
Wie oben schon erwähnt sind alle anfallsartig auftretenden neurologischen Symptome verdächtig auf das Vorliegen einer Epilepsie. Aber oft handelt es sich eben dabei nicht um echte epileptische Anfälle, denen eine bestimmte überschießende Entladung von Nervenzellen der Hirnrinde zugrunde liegt.
Andere neurologisch/psychiatrische Erkrankungen kommen aus Ursache von Anfällen in Frage.
Zahlreiche Umstände, kommen als Ursache für eine plötzliche Unterversorgung des Gehirns mit Blut, einenKreislaufkollaps, in Frage.
Eine solche Synkope kann reflexartig auf bestimmte Reize hin erfolgen z.B. Lachen, Miktion (also urinieren), Schreck, Schmerz, Blutabnahme, Impfen und andere können gelegentlich zu Ohnmachten führen.
Auch eine Erschöpfung, z.B. nach langem Stehen von Rekruten beim Exerzieren, oder andere Anstrengungen können zu Ohnmachten führen.
Ohnmachten können auch durch Herzerkrankungen entstehen. Das sind alle Erkrankungen, die die Herzleistung plötzlich massiv verringern. Beispielhaft führe ich Herzrhythmusstörungen, eine Schwäche des Herzmuskels oder Herzklappenerkrankungen an. Oft ist die Herzerkrankung schon vor der ersten dadurch auftretenden Ohnmacht bekannt, manchmal wird man aber auch erst dadurch darauf aufmerksam.
Synkopen kommen auch bei jungen, gesunden Menschen vor. Eine medizinische Basisabklärung ist aber beim ersten Auftreten sicherlich sinnvoll.
„Anfälle“, das heißt Verhaltensänderungen, die plötzlich auftreten und an epileptische Anfälle erinnern, können auch psychischen Ursprungs sein.
Die psychische Konstellation, die zu solchen Anfällen führt, ist meist komplex. Traditionell schreibt man solche Anfälle einem symbolischen Ausdruck eines psychischen Konfliktes bei gestörter verbaler Ausdrucksmöglichkeit zu. In der psychiatrischen Klassifikation spricht man von „dissoziativen Krampfanfällen“.
Häufig kommen solche nicht-epileptischen Anfälle auch bei Personen vor, bei denen auch echte epileptische Anfälle bestehen.
Panikattacken sind eine häufige psychische Störung. In seltenen Fällen kann einer solchen „Panikattacke“ aber auch ein epileptischer Anfall zugrunde liegen. Dies lässt sich aber durch begleitende Umstände und eine mehr oder weniger unterschiedliche Symptomatik meist schon aus der Anamnese annehmen.
Eine Vielzahl von Erkrankungen können anfallsartig, oder zumindest mit einem raschen Beginn, relativ kurzer Dauer und vollständiger Erholung einhergehen und dann Anlass zur Verwechslung mit epileptischen Anfällen geben. Diese hier alle aufzuzählen, oder gar zu diskutieren würde aber den Rahmen sprengen.